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Monologe im Führerhauptquartier

Monologe im Führerhauptquartier, 4

Führerhauptquartier

Nacht vom 21. auf 22. 7. 1941 H/Fu.

Im Grunde müßten wir dem Jesuitismus dankbar sein; wer weiß, ob wir ohne ihn von der Bauweise der Gotik zu der leichten, offenen und hellen Architektur der Gegenreformation gekommen wären! Gegenüber der Bemühung Luthers, das bereits völlig verweltlichte Kirchenfürstentum zur mystischen Verinnerlichung zurückzuführen, hat der Jesuitismus an die Sinnesfreude appelliert!

Dabei war Luther durchaus nicht darauf aus, die Menschheit an den Buchstaben der Schrift zu binden; es gibt eine ganze Reihe von Äußerungen, in denen er gegen die Schrift Stellung nimmt, indem er feststellt, sie enthielte vieles, was nicht gut ist. Auch der Protestantismus hat Hexenverbrennungen gekannt, während man sie in Italien so gut wie nicht findet. Der Südländer geht viel leichter an die Dinge des Glaubens heran. Auch der Franzose bewegt sich völlig ungezwungen in der Kirche, während man bei uns schon Gefahr läuft aufzufallen, wenn man nicht niederkniet.

Andererseits: Daß er [Luther] es gewagt hat, sich gegen den Papst und das System der Kirche aufzulehnen! Das war die erste Revolution. Und mit der Bibel-Übersetzung hat er an die Stelle unserer Dialekte die deutsche Sprache gesetzt!

Es ist auffallend, wie verwandt die Entwicklung Deutschlands und Italiens verläuft! Die Sprachschöpfer standen gegen die Universalherrschaft des Papstes: Dante und Luther. Die Nationen wurden zur Einheit geführt gegen die dynastischen Interessen durch einen Mann. Sie sind zum Volk geworden gegen die Wünsche des Papstes.

Ich muß sagen, ich freue mich immer, wenn ich dem Duce begegne: Er ist eine ganz große Persönlichkeit. Seltsam, daß er – zur gleichen Zeit wie ich – als Bauarbeiter in Deutschland tätig war. Gewiß: Unser Programm ist entstanden 1919; damals wußte ich nichts von ihm. In den geistigen Fundamenten ruht unsere Lehre in sich, aber jeder Mensch ist das Produkt von eigenen und fremden Gedanken und man sage nicht, daß die Vorgänge in Italien ohne Einfluß auf uns waren. Das Braunhemd wäre vielleicht nicht entstanden ohne das Schwarzhemd. Der Marsch auf Rom 1922 war einer der Wendepunkte der Geschichte. Die Tatsache allein, daß man das machen kann, hat uns einen Auftrieb gegeben. (Einige Wochen darauf hat der Minister Schweyer mich empfangen, er hätte das sonst nicht getan).[1]

Würde Mussolini damals vom Marxismus überrannt worden sein, ich weiß nicht, ob wir uns hätten halten können. Der Nationalsozialismus war damals noch ein schwaches Pflänzlein. Wenn der Duce stürbe, so wäre das ein großes Unglück für Italien. Wie ich mit ihm durch die Villa Borghese ging und seinen Kopf und die römischen Büsten vor mir hatte: Er ist einer der römischen Cäsaren! Irgendwie hat er die Erbmasse eines großen Mannes aus jener Zeit in sich.

Bei ihren Schwächen haben die Italiener doch viele Eigenschaften, die sie für uns liebenswert machen. Italien ist die Heimat der Staatsidee; war doch das römische Weltreich die einzige wirklich große staatspolitische Gestaltung. Die Musikalität des Volkes, ihr Sinn für schöne Verhältnisse und Proportionen, die Schönheit ihrer Menschen! Die Renaissance war doch der Anbruch eines neuen Tages, das Sich-Wiederfinden des arischen Menschen! Und dann unsere eigene Vergangenheit auf italienischem Boden! Wer kein Organ für Geschichte hat, ist wie ein Mensch, der kein Gehör oder kein Gesicht hat; leben kann er auch so, aber was ist das!

Der Zauber von Florenz und Rom, Ravenna, Siena oder Perugia, wie schön die Toscana und Umbrien! Jeder Palast in Florenz oder Rom ist mehr wert als das ganze Windsor Castle. Wenn die Engländer etwas in Florenz oder Rom zerstören, so ist das ein Verbrechen. Um Moskau ist es nicht schade, und – leider – auch bei Berlin wäre es heute noch kein Verlust.

Ich habe Rom und Paris gesehen und ich muß sagen, Paris hat, abgesehen vielleicht vom Triumphbogen, nichts Großes im Stil des Kolosseum oder der Engelsburg oder auch der Peterskirche: Gemeinschaftsarbeiten, die über das einzelne hinausragen. Irgend etwas ist bei den Pariser Bauten bizarr, seien es Ochsenaugen, unglücklich im Verhältnis zum Bau- Ganzen, oder ein Giebel, der die Fassade erdrückt, oder wenn ich das antike Pantheon mit dem Pariser Bau vergleiche: wie schlecht ist dieses konstruiert, dazu die Plastiken! Paris: Was ich auch gesehen habe, gleitet von mir ab. Rom hat mich ergriffen.

Wie wir den Duce bei uns empfingen, dachten wir, es war schön; aber unsere Fahrt durch Italien, der Empfang dort, – bei allem Zeremoniell – die Fahrt zum Quirinal, das war doch etwas anderes noch.[2]

Neapel, vom Castell abgesehen, hätte das auch Südamerika sein können, aber dann wieder der Hof des Königspalastes, wie großartig in den Verhältnissen, eins gegen das andere abgewogen! Ich wünschte mir nur, wie ein unbekannter Maler in Italien herumstreichen zu können!

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[1] Benito Mussolini, 1883-1945, der Duce des faschistischen Italiens, beendete 1901 mit 18 Jahren seine Ausbildung als Volksschullehrer. Er übte den Beruf aber kaum aus, sondern führte bis 1912 ein unstetes Leben als Gelegenheitsarbeiter und revolutionärer Agitator. 1902/03 arbeitete er als Maurer in verschiedenen Kantonen der Schweiz, nach einer Ausweisung 1903 auch kurze Zeit in Deutschland. Im März 1909 wurde M. Sekretär der Arbeitskammer in Trient. Die österreichischen Behörden schoben den radikalen sozialistischen Agitator und Chefredakteur der Zeitung »Popolo« schon im Oktober 1909 wieder nach Italien ab. Vgl. Sir Ivone Kirkpatrick, Mussolini. London 1964, dt. Berlin 1965, S. 33 ff. Der Sieg des italienischen Faschismus im Oktober 1922 hat der NSDAP einen starken Auftrieb gegeben. Ernst Röhm, Die Geschichte eines Hochverräters, München 4. Aufl. 1933, S. 152. Die bayer. Staatsregierung fürchtete »das gefährlich ansteckende Beispiel der italienischen Faschisten«. Politik in Bayern 1919-1933. Berichte des württembergischen Gesandten Carl Moser von Filseck. Hrsg. von W. Benz, Stuttgart 1971, S. 110 f. Franz Schweyer, 1868-1935, Mitglied der Bayer. Volkspartei, 1921-1924 Staatsminister des Innern, empfing Hitler im November 1922.

[2] Mussolini besuchte Deutschland vom 25.-28.9.1937; Hitlers Gegenbesuch in Italien fand vom 2.-10. 5. 1938 statt.