Adolf Hitler
Monologe im Führerhauptquartier 1941-1944
Die Aufzeichnungen Heinrich Heims Herausgegeben von Werner Jochmann
Handschriftliche Notiz
Martin Bormanns vom 20.10.1941
Einführung
Kurz nach Beginn des Krieges gegen die Sowjetunion regte Reichsleiter Martin Bormann an, die Gespräche Hitlers während der Arbeitspausen im Führerhauptquartier aufzuzeichnen. Er ließ sich dabei von folgenden Erwägungen leiten: Nach Jahren beispielloser Unrast mit Reisen, Besichtigungen, Veranstaltungen, intensiven Beratungen mit Architekten, Künstlern, Parteiführern, Repräsentanten des Staates, der Wirtschaft und Wehrmacht, nach den großen außenpolitischen Aktionen und den ersten Feldzügen des Zweiten Weltkrieges lenkte der Oberste Befehlshaber der Wehrmacht nun mit seinem Stab von Ostpreußen aus die Operationen gegen die Rote Armee. Um die Ideen und Vorstellungen, die er in dieser Klausur und in der bisher entscheidendsten Phase des Krieges entwickelte, der Nachwelt zu erhalten, forderte Bormann als Leiter der Parteikanzlei seinen Adjutanten Heinrich Heim auf, sie zu fixieren.
Auf dem Heimweg von einer Mittagstafel bei Hitler Ende Juni oder Anfang Juli 1941, so berichtet Heim, habe Bormann ihm nahegelegt, »den Versuch zu machen, eine Auslassung, die wir eben gehört hatten, aus der Erinnerung aufzuschreiben. Was ich dem Reichsleiter unterbreitete, schien ihm an dem, worauf es ihm offenbar angekommen war, vorbeizugehen; er fertigte deshalb selber eine Niederschrift und legte sie mir vor; innerlich hielt ich an meiner Vorstellung fest, wenn ich die seine auch nicht tadeln konnte«. Manche der Schwierigkeiten, die sich bei dieser zufälligen Aufzeichnung der Darlegungen Hitlers gezeigt hatten, ließen sich bei planmäßigem Vorgehen überwinden. Heim konzentrierte sich fortan bei Tisch intensiv auf Verlauf und Inhalt der Gespräche, soweit es möglich war, notierte er sich auch unauffällig einige Stichworte, gelegentlich sogar den einen oder anderen markanten Satz. Unter Zuhilfenahme dieser Notizen diktierte er dann sofort einer Sekretärin Bormanns seine Gesprächsvermerke. Während der nächtlichen Teestunden, zu denen nur ein kleiner und vertrauter Kreis gebeten wurde, bot sich allerdings keine Möglichkeit, auch nur ein Wort festzuhalten. Da diese intime Runde oft bis in die ersten Stunden des folgenden Tages um Hitler versammelt blieb, konnte die Aufzeichnung über den Gesprächsverlauf erst am nächsten Morgen diktiert werden.
In seinen zwanglosen Plaudereien wechselte Hitler häufig das Thema. Anfänglich wurde deshalb der Versuch gemacht, Bemerkungen zu bestimmten Problemkreisen über mehrere Tage hinweg systematisch zusammenzufassen.[1] Da bei diesem Verfahren jedoch die Unmittelbarkeit der Aussage verlorenging und auch nicht rekonstruiert werden konnte, in welchen Zusammenhang die Äußerungen einzuordnen waren, gab man es rasch wieder auf. Die Gespräche wurden in ihrem Verlauf und in der Reihenfolge auf gezeichnet, in der sie stattfanden. In der Regel sprach Hitler allein, wobei er zumeist Themen wählte, die ihn gerade bewegten. Vielfach wich er den drängenden Problemen aber aus, indem er etwa bei Berichten aus seiner Schulzeit oder aus der Frühzeit der NSDAP Distanz zur Arbeit des Tages gewann. Nicht jeder Monolog, den Heim aufzeichnete, fördert die politische Erkenntnis des Lesers. Alle aber gewähren einen Einblick in den Alltag des Führerhauptquartiers und in die Mentalität sowie den Lebensstil Adolf Hitlers.
Martin Bormann war schon bald mit der Arbeit Heims sehr zufrieden. Er sah eine Materialsammlung entstehen, der er große Bedeutung beimaß. In einem Aktenvermerk für die Parteikanzlei in München schrieb er am 20. Oktober 1941: »Bitte diese – später äußerst wertvollen – Aufzeichnungen sehr gut aufheben. Endlich habe ich Heim so weit, daß er sich eingehende Aufzeichnungen als Grundlage für diese Vermerke macht. Jede nicht ganz zutreffende Niederschrift wird von mir noch einmal korrigiert!« Soweit sich erkennen läßt, gab es wenig Anlaß zur Korrektur. In dem hier veröffentlichten Bestand hat der Leiter der Parteikanzlei nur einige Ergänzungen hinzugefügt, die im Text der Ausgabe gekennzeichnet sind. Wieweit einzelne Einwände und Hinweise bereits bei der endgültigen Niederschrift der Vermerke berücksichtigt wurden, kann nicht einwandfrei festgestellt werden. Nach Aussagen Heims war das nicht der Fall, und der Aktenbefund spricht ebenfalls dagegen. Für jede Gesprächsnotiz wurde eine Urschrift angefertigt, die Heim noch einmal überarbeitete und korrigierte. Von der endgültigen Fassung wurde ein Original mit zwei Durchschlägen hergestellt. Ersteres, in jedem Fall von Heim unterschrieben, nahm Bormann an sich, die Durchschläge verwahrten die Leiter der politischen und der staatsrechtlichen Abteilung der Parteikanzlei. Der Sammlung wurden einige von Bormann selbst diktierte und unterschriebene Vermerke eingefügt.
Die Aufzeichnungen Heims beginnen am 5. Juli 1941, werden am 12. März 1942 unterbrochen, danach noch einmal vom 1. August bis zum 7. September 1942 fortgesetzt. Während der Abwesenheit Heims fertigte sein Vertreter, Oberregierungsrat Dr. Henry Picker, vom 21. März bis 31. Juli 1942 die Gesprächsvermerke an. Anfang September 1942 kam es im Führerhauptquartier zu einer schweren Krise. Hitler war enttäuscht über die mangelnden Erfolge der Heeresgruppe A im Kaukasus. Er überhäufte den Oberbefehlshaber, Generalfeldmarschall List, und seine Generale mit Vorwürfen. Der Chef des Wehrmachtführungsstabes, Generaloberst Jodl, flog deshalb in das Hauptquartier des Generalfeldmarschalls, um sich über die Lage an den Fronten der Heeresgruppe zu informieren. Nach seiner Rückkehr in das Führerhauptquartier am 7. September empfahl er Hitler eine Einstellung des Angriffs und eine Rücknahme des besonders weit vorgeschobenen und durch die harten Kämpfe geschwächten Gebirgskorps.[2] Hitler reagierte verstimmt und erhob den Vorwurf, Feldmarschall List habe seine Befehle nicht befolgt und deshalb den Mißerfolg verschuldet. Als Jodl demgegenüber geltend machte, daß sich die Heeresgruppe streng an ihre Weisungen gehalten habe, und somit zu erkennen gab, daß die Kritik auf Hitler zurückfalle, war der Bruch besiegelt.
Die Folge dieses schweren Konflikts war, daß Hitler fortan die Lagebesprechungen durch Reichstagsstenographen protokollieren ließ, für längere Zeit bei Tageslicht seine Baracke nicht mehr verließ und insbesondere nicht mehr mit den Angehörigen des Führerhauptquartiers aß.[3] Wieweit sein Selbstvertrauen durch dieses Ereignis einen schweren Stoß erhielt, weil er erkannte, daß seine Ziele in Rußland nicht mehr zu erreichen waren, mag in diesem Zusammenhang unerörtert bleiben. Entscheidend ist, daß Hitler fortan seinen Offizieren mißtraute und sie mit Vorwürfen überschüttete, die selbst seine engsten politischen Vertrauten schockierten.[4] Auch Martin Bormann registrierte beunruhigt, daß sich Hitler mehr und mehr vor seiner Umgebung verschloß.[5] Mit der Aufhebung der gemeinsamen Tafel enden die Niederschriften. Sofern es danach noch Gespräche in einer entspannten Atmosphäre gab, bot sich kaum eine Gelegenheit zur Aufzeichnung. Die wenigen Vermerke, die 1943/44 von einem Referenten Bormanns gefertigt und von diesem auch in den Bestand der Führergespräche eingefügt wurden, sind – zur Veröffentlichung freigegeben – im vierten Teil dieses Bandes zusammengefaßt. Ein Blick in diese wenigen Dokumente verrät den atmosphärischen Wandel, der seit dem September 1942 stattgefunden hatte. Hitler äußerte sich nicht mehr so ungezwungen, die meisten Fragen wurden nur noch kurz gestreift.
Martin Bormann versah seine Sammlung der »Führergespräche« mit einem »Geheim«- Vermerk und sandte sie in Teilen an seine Frau zur Verwahrung. Gerda Bormann verließ am 25. April 1945 den Obersalzberg, nachdem der Besitz bei einem Bombenangriff zerstört worden war, und nahm außer den Briefen ihres Mannes auch die Gesprächsvermerke mit nach Südtirol. Dort ist sie in einem Kriegsgefangenenlager in Meran am 23. März 1946 gestorben.[6] Nach der deutschen Kapitulation übernahm ein italienischer Regierungsbeamter in Bozen den gesamten Bestand und veräußerte ihn später an François Genoud in Lausanne, in dessen Besitz er sich noch befindet. Er liegt der vorliegenden Edition zugrunde.
Während Henry Picker seine Gesprächsvermerke aus dem Führerhauptquartier inzwischen wiederholt veröffentlicht hat,[7] gibt es von den sehr viel umfangreicheren Aufzeichnungen Heims bislang nur fremdsprachige Ausgaben. Eine französische besorgte schon zu Beginn der fünfziger Jahre Franfois Genoud,[8] die englische zur gleichen Zeit H. R. Trevor-Roper. Dieser ersten englischen Edition folgte 1973 eine zweite,[9] vorher waren zwei mit der englischen Ausgabe identische amerikanische erschienen.[10] Da diese Übersetzungen einer so zentralen Quelle von der internationalen Forschung viel benutzt werden, ist es an der Zeit, daß sie endlich im Originaltext zugänglich gemacht wird. Das ist um so dringender, als sich spezifische nationalsozialistische Termini und auch manche sprachlichen Eigenheiten Hitlers nur unvollkommen übersetzen lassen. Bei Versuchen, seine Ausführungen rückzuübersetzen, haben sich zwangsläufig Fehler eingeschlichen, die stark zu Lasten der Interpretation gingen.
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Den überwiegenden Teil der Monologe Hitlers, die in diesem Band veröffentlicht werden, überlieferte Heinrich Heim. Er wurde am 15. Juni 1900 in München geboren, wuchs in Zweibrücken auf, wo er auch die Schule besuchte. Dem Herkommen gemäß – Heim stammt aus einer alten und angesehenen bayerischen Juristenfamilie, der Vater war Richter am Bayerischen Obersten Landesgericht und von 1918 bis 1925 Mitglied des Bayerischen Staatsgerichtshofes und zeitweise des Disziplinarhofes – studierte er Jura an der Universität München. In einem volkswirtschaftlichen Kolleg lernte Heim Rudolf Heß kennen, kam durch ihn mit der NSDAP in Kontakt, der er bereits am 19. Juli 1920 beitrat. Nach bestandenem Examen für den höheren Justiz- und Verwaltungsdienst ließ sich der junge Jurist in München als Anwalt nieder. Er arbeitete in Bürogemeinschaft mit Dr. Hans Frank, der zu dieser Zeit bereits der bevorzugte Rechtsvertreter Hitlers und der NSDAP war. Auch Heim betätigte sich sofort anwaltlich für die Partei. Er vertrat vornehmlich die Belange der Hilfskasse der NSDAP, die Martin Bormann leitete. Damit wurde eine Zusammenarbeit begründet, die bis 1945 währte.
Als Rudolf Heß 1933 zum »Stellvertreter des Führers« ernannt wurde und Martin Bormann zu seinem Stabsleiter bestellte, begann der planmäßige Aufbau einer leistungsfähigen Parteizentrale. Bormann holte Heim am 13. August 1933 in seinen Stab, wo er, allerdings zunächst auf Honorarbasis, ohne klar abgegrenzte Zuständigkeit arbeitete. Erst nachdem die nationalsozialistische Parteileitung ein Mitspracherecht bei der staatlichen Gesetzgebung und namentlich bei der Ernennung und Beförderung von Beamten erhalten hatte, wurden weitere Juristen und Mitarbeiter eingestellt. In der neu errichteten staatsrechtlichen Abteilung der Parteizentrale wurde Heim die Bearbeitung aller Fragen der Justiz übertragen. In dieser Stellung eines Reichsamtsleiters blieb er bis Ende 1939; 1936 erfolgte seine Ernennung zum Oberregierungsrat, 1939 erhielt er den Rang eines Ministerialrats.
Als bei Kriegsbeginn Martin Bormann, der schon vorher zeitweise in Berlin geweilt und die Verbindung zwischen Hitler und der Parteileitung gehalten hatte, dem Führer der NSDAP in seine jeweiligen Hauptquartiere folgte, nahm er Heim als seinen Adjutanten mit. In dieser Stellung blieb er von Ende 1939 bis zum Herbst 1942. Danach leitete er, in das Braune Haus nach München zurückgekehrt, bis Kriegsende ein neu geschaffenes Referat, in dem Grundsatzfragen einer Neugestaltung Europas bearbeitet wurden.
Ausschlaggebend für die Kommandierung Heims ins Führerhauptquartier war der Wunsch Hitlers. Er wollte in seiner Umgebung nach Möglichkeit nur Menschen sehen, die er kannte. Die Tatsache, daß Heim zu seiner frühesten Gefolgschaft gehörte – er hatte die alte Mitgliedsnummer 1782 begründete darüber hinaus ein besonderes Vertrauensverhältnis, das ihn geeignet erscheinen ließ, die Erörterungen und Darlegungen Hitlers aufzuzeichnen. Heim aß als Adjutant Bormanns nicht nur regelmäßig an Hitlers Tisch, sondern er wurde euch häufig zu den nächtlichen Teestunden in den Führerbunker geladen, an denen nur die engsten politischen Vertrauten und die Sekretärinnen teilnahmen. Der Kreis war selten größer als sechs bis acht Personen. Die Aufzeichnungen von diesen nächtlichen Monologen Hitlers machen den besonderen Wert der Heimschen Sammlung aus.
Im Frühjahr 1942 erhielt Heim den Auftrag, dem Maler Karl Leipold, dem er besonders nahestand, bei der Vorbereitung einer Ausstellung im Haus der Kunst zur Hand zu gehen. Für die Zeit seiner Abwesenheit vom Führerhauptquartier von März bis Juli 1942 suchte Bormann einen Vertreter. Da in der Parteikanzlei niemand zur Verfügung stand, wandte er sich an die Gauleiter der NSDAP und bat sie um Vorschläge. Unter den Namen, die ihm genannt wurden, befand sich auch der des Oberregierungsrats Dr. Henry Picker. Er war vom oldenburgischen Gauleiter Karl Rover vorgeschlagen worden. Die Parteikanzlei traf eine Vorauswahl, die Entscheidung lag bei Hitler selbst.
Bormann akzeptierte Picker als Vertreter Heims, weil der Vorschlag von einem bewährten Gauleiter stammte und Hitler die Anerkennung, die er dem Vater Pickers zollte, auf den Sohn übertrug. Senator Daniel Picker hatte bereits 1929 in Wilhelmshaven die NSDAP gefördert und ihren Führer in Verbindung mit Repräsentanten der Werftindustrie und der Kriegsmarine gebracht.[11]
Bei seinen Besuchen in der Hafenstadt war Hitler wiederholt Gast im Hause Picker gewesen. Zum Zweck der Klarstellung verdient festgehalten zu werden, daß Henry Picker nicht als Beamter oder Jurist in das Führerhauptquartier kam, sondern dort im Auftrag der Parteikanzlei vertretungsweise als Adjutant Bormanns Dienst tat. Zu den ständigen Aufgaben gehörte mithin auch die Aufzeichnung der Gespräche Hitlers während der offiziellen Mittags- und Abendtafel.
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Picker hat in der Einleitung zur Ausgabe seiner Tischgespräche darauf hingewiesen, daß Hitler außer bei kurzen Spaziergängen »nur in der privaten Unterhaltung an seiner Tafelrunde, also in dem Sich-Aussprechen in persönlicher, geselliger Atmosphäre, die notwendige geistig- seelische Entspannung« fand.[12] Dieser Zweck wurde am ehesten erreicht, je weiter das jeweilige Gesprächsthema von den bedrängenden Aufgaben und Entscheidungen des Tages fortführte und je mehr es Hitler gefangennahm. Da jede Anstrengung und Konzentration vermieden werden sollte, unterließen es die Gäste, durch Fragen oder Einwände ein Thema zu vertiefen oder fortzuführen. Zudem monologisierte der in seinem Hauptquartier von vielen Kontakten abgeschnittene und vom Volk isolierte Oberbefehlshaber aber auch, um sich selbst Klarheit zu verschaffen. Dabei empfand er es als besonders hilfreich, wenn die Gäste aufgeschlossen waren und mitgingen. Die kleine Tischgesellschaft ersetzte im Krieg die Bevölkerung, deren Resonanz Hitler ja immer für seine Entscheidungen so dringend gebraucht hatte und die er auch jetzt nicht völlig entbehren konnte.
Noch augenfälliger wird das Kommunikationsbedürfnis bei den nächtlichen Teestunden. Hitler zog sich nach der abendlichen Lagebesprechung nicht zurück, um zu entspannen oder die aktuellen Ereignisse zu überdenken, sondern er lud wenige Vertraute in seinen Bunker, der ihm zugleich als Arbeitsraum diente, um die Last des Tages abzuwerfen und neue Energien zu gewinnen. Dabei legte er besonderen Wert auf die Anwesenheit seiner Sekretärinnen, weil er sich dadurch angeregt und stimuliert fühlte, zugleich aber die zwanglose Atmosphäre gewahrt blieb. In dieser Runde wurden vielfach ganz andere Themen erörtert als bei den Gesprächen im größeren Kreis.
Bei der Beurteilung der Monologe Hitlers werden stets diese Aspekte berücksichtigt werden müssen. Dem Bedürfnis nach Entspannung und Verdrängung entsprach es, daß in den Wintermonaten 1941/42 die schwere Krise an der Ostfront, die Nöte der Bevölkerung im härter werdenden Luftkrieg, die Versorgungsschwierigkeiten und die sich abzeichnende Schwäche Italiens mit keinem Wort erwähnt werden. Nicht minder sichtbar wird das Bedürfnis nach Erholung bei den Erinnerungen an eine besondere Vergangenheit, den Berichten über interessante Begegnungen und Erlebnisse, bei Erörterungen über Fragen der Kunst. Dem entspricht oft der Stil der lockeren Plauderei, wobei die Themen rasch und leicht wechselten und zweifellos auch nicht jedes Wort und jedes Votum auf die Goldwaage gelegt werden darf.
Kontakt zu seinen Gehilfen und Mitarbeitern suchte Hitler, wenn ihn grundlegende Fragen der Weltanschauung und Politik bewegten und er sich Klarheit über sein Vorgehen verschaffen wollte, insbesondere über die Möglichkeiten und Grenzen, die er während des Kriegs für sein Handeln besaß. In diesen Zusammenhang gehören die häufigen Erörterungen über Fragen des Glaubens, die Lebenskraft des Christentums in Deutschland und Europa, die Stellung der Kirchen zum Nationalsozialismus und die Politik in den besetzten Gebieten Osteuropas. Nicht minder traf es auch für die Ausführungen über die Rechtsprechung und die besonderen Probleme des Strafvollzugs unter den Ausnahmebedingungen des Krieges zu. Hitler hat bei den Gesprächen mit den wenigen Menschen seiner Umgebung im Führerhauptquartier gespürt, daß die Bereitschaft zum härteren und kompromißloseren Vorgehen gegen Außenseiter oder Feinde des Regimes wuchs, je schwerer der Krieg wurde und je mehr Opfer er verlangte. Er besaß auch in der Abgeschiedenheit seines Hauptquartiers noch ein Gespür für die Stimmung im Lande und für die Bewußtseinslage der einzelnen Gruppen und Schichten. Daher seine wiederholte harte Kritik an der Verwaltung und ihrem Schematismus, die von Teilen der Bevölkerung geteilt wurde, sein Spott über die Sorgen und Einwände der Experten auf allen Gebieten des öffentlichen Lebens, sein Ärger über die Deutschen, die angesichts der Judendeportationen und der Verfolgungsmaßnahmen in den besetzten Gebieten Furcht und Abscheu zeigten.
Nun vermitteln freilich die Aufzeichnungen nur ein unzureichendes Bild von Hitlers Ausführungen. Heim hat sich zwar mittags und abends bei den Gesprächen im größeren Kreis Notizen gemacht, »um für die wichtigsten Details eine Stütze zu haben«. Aber er war auch dann nur in der Lage, nach Aufhebung der Tafel auf wenigen Seiten zusammenzufassen, was teilweise sehr eingehend erörtert worden war. Für die sehr langen Monologe während der nächtlichen Teestunden war er ganz auf sein Gedächtnis angewiesen.
Ferner hat der an Problemen der Kunst interessierte Adjutant Bormanns von vornherein darauf verzichtet, »Äußerungen zu militärischen und zu Fragen der Technik festzuhalten«, weil er diesbezüglich nicht kompetent und sachkundig war. Er tat dies in kluger Selbstbescheidung, obgleich Gespräche über diese Themen bei Tisch einen breiten Raum einnahmen und Hitler in diesen Bereichen über ein beträchtliches Wissen verfügte. Aber auch darüber hinaus hat Heim nichts notiert, wenn er nicht sicher war, »daß er es im Kern erfaßt« hatte. Bei der Lektüre dieser Aufzeichnungen wird also stets bedacht werden müssen, daß sie bei weitem nicht alles enthalten, was Hitler beschäftigte und worüber er sprach.
Gleichwohl besitzen die hier vorliegenden Niederschriften einen hohen Erkenntniswert, weil sich der Mann, der sie anfertigte, als überzeugter Nationalsozialist bemühte, den »Gedankengang und die Quintessenz« des Gehörten festzuhalten. Dabei blieben besonders kurze markante Stellungnahmen und Äußerungen zu weltanschaulichen und politischen Fragen haften, die Heim als altem Parteigenossen bekannt waren. Bei der Unterhaltung über weniger geläufige Themen oder abseits liegende Ereignisse sind dagegen auch einmal Sätze aufgezeichnet worden, die keine volle Rekonstruktion des Gesprächsverlaufs und des Gedankengangs mehr erlauben.
Auch wenn Heim noch so sehr bemüht war, die Worte seines Führers so getreu und exakt wie möglich zu überliefern, bleiben sie subjektiv gefiltert. Auch hier trifft zu, was die Baronin Spitzemberg über ein langes Gespräch mit Bismarck in Friedrichsruh nach dessen Rücktritt in ihrem Tagebuch vermerkte: »Indem ich all’ dies niederschreibe, unmittelbar nachdem ich es gehört, mit keiner anderen Absicht, als diesem Buche die Worte des großen Mannes anzuvertrauen, kommt mir zum Bewußtsein, wie unausbleiblich die Irrungen sind … Wenn ich das Geschriebene überlese, bin ich mir wohl bewußt, nichts Falsches geschrieben zu haben; aber manches ist doch weggeblieben, durch die andere Reihenfolge erscheint das eine oder andere nicht so, wie es gemeint war, ich selbst lege vielleicht einen anderen Sinn in des Fürsten Worte!«[13]
Um keinen Zweifel darüber aufkommen zu lassen, daß es sich immer nur um eine Zusammenfassung der Ausführungen Hitlers handelt, leitete Heim jeden Gesprächsvermerk mit einem Satz ein wie: »Der Chef sprach sich dem Sinne nach in ungefähr folgenden Gedankengängen aus«, oder: »Der Chef äußerte sich unter anderem dem Sinne nach wie folgt.« An dieser Praxis hat auch der Referent Bormanns festgehalten, der die wenigen Äußerungen aus den Jahren 1943/44 festhielt. Seine Aufzeichnungen begannen stets mit der Formel: »Heute sagte der Führer dem Sinne nach etwa folgendes.« Damit ist klargestellt, daß es sich lediglich um eine sinngemäße Wiedergabe handelt, lange Erörterungen resümiert, gelegentlich auch weniger wichtige oder sehr spezielle Darlegungen fortgelassen wurden.
Auf diesen Befund muß besonders nachdrücklich hingewiesen werden, weil Picker die 36 Gesprächsaufzeichnungen Heims, die er in seine Ausgabe der Tischgespräche übernahm, als »Originalstenogramme« bezeichnete.[14] Diese Behauptung mag im privaten Interesse liegen – Stenogramme sind urheberrechtlich nicht in dem Maße geschützt wie Gedächtnisprotokolle und Aktenvermerke den Erfordernissen der Wissenschaft und der politisch interessierten Öffentlichkeit ist damit ganz und gar nicht gedient. Schließlich ist es ja ein gravierender Unterschied, ob es sich um eine wortgetreue Wiedergabe der Ausführungen Hitlers handelt oder um eine sinngemäße Zusammenfassung seiner Monologe.
Zudem muß auch Pickers Behauptung, er habe die ausdrückliche Genehmigung Hitlers und Bormanns zur Mitnahme seiner eigenen und einiger ausgewählter Aufzeichnungen Heims erhalten, in Zweifel gezogen werden. Nach Auskunft Heims wußte Hitler überhaupt nichts von seinen Vermerken. Er kann mithin – mindestens im Falle der Texte Heims – kaum über Material verfügt haben, von dem er keine Kenntnis besaß. Darüber hinaus ist auch nicht ersichtlich, warum Bormann die Führergespräche als »geheime« Parteiangelegenheit behandelte und sorgfältig verwahrte, wenn er sie gleichzeitig als private Arbeit ausdrücklich freigab.
Für die Beurteilung der Quelle ist es von großer Bedeutung, ob Hitler sich bei seinen Äußerungen in Kenntnis der Mitschriften sorgfältig kontrollierte und nur sagte, was bekannt werden durfte, oder ob er in einem Kreis von Vertrauten frei und entspannt auch einmal über Fragen sprechen konnte, die nicht nach außen dringen sollten, auf die er noch keine eindeutige Antwort wußte. Alle Informationen sprechen dafür, daß letzteres der Fall war. Jedenfalls rechnete Hitler nicht damit, daß seine Ausführungen bei den nächtlichen Zusammenkünften in seinem Arbeitszimmer schriftlich festgehalten würden. In dieser entspannten Atmosphäre äußerte er sich offener und ungezwungener als bei der Mittags- und Abendtafel. Das hat Picker durchaus erkannt, denn er hat sich während seiner Tätigkeit im Stab Bormanns hauptsächlich Abschriften von diesen Aufzeichnungen verschafft. Von den 36 Vermerken, die er aus dem Bestand Heims in seine Ausgabe übernahm, beziehen sich allein 13 auf die nächtlichen Teestunden, zu denen er selbst nie gebeten wurde.
Zu Beanstandungen gibt auch die Auswahl und Wiedergabe der Quellen durch Picker Anlaß. So hat er unter der Nummer 6 in seine Edition der Tischgespräche ein Dokument aufgenommen, das im Bestand Bormanns fehlt. Es gehört weder sachlich zu den Gesprächsvermerken, noch ist es von Heim aufgezeichnet und überliefert worden. Die Aufzeichnung 7 – in der vorliegenden Edition Nummer 16 – ist falsch datiert. Dem Vermerk vom 21. Juli 1941 fügt Picker am Schluß zwei Sätze an, die es im Original nicht gibt. Es ist hier nicht der Platz, alle Nachlässigkeiten, die Picker bei der Übertragung der Heimschen Texte unterlaufen sind, zu registrieren. Fortan sollten auf jeden Fall die in diesem Band veröffentlichten Originale aus der Sammlung Bormanns benutzt werden, zumal Picker in seiner Überlieferung gelegentlich sogar die Substanz der Aussage beeinträchtigt hat. Nach Pickers Text erklärte Hitler am 13. 12. 1941: »Der Krieg wird ein Ende nehmen. Die letzte große Aufgabe unserer Zeit ist dann darin zu sehen, das Kirchenproblem noch zu klären.«[15] Im Heimschen Original lautet die Passage dagegen: »Der Krieg wird sein Ende nehmen, und ich werde meine letzte Lebensaufgabe darin sehen, das Kirchenproblem noch zu klären.«[16] Es ist doch wohl von Bedeutung, daß Hitler sich selbst noch vorgenommen hatte, den Kampf gegen die Kirchen auszufechten.
Aber Picker sind nicht nur bei der Übertragung fremder Texte Nachlässigkeiten und Fehler unterlaufen, er hat es auch bei der Wiedergabe seiner eigenen Aufzeichnungen an der erforderlichen Sorgfalt fehlen lassen. In der Aufzeichnung vom 2. Juli 1942 beispielsweise heißt es: »Nach Durchsicht des Berichts bemerkte der Chef, daß man ein so rasches Abschreiben Ägyptens durch die Engländer allerdings nicht habe erwarten können.« Der darauf folgende Satz in der Veröffentlichung Pickers lautet dann: »Im übrigen zeige die Lügerei, daß wir – wenn Churchill einmal tot sei – noch sorgen müßten, daß seine durch nichts zu erschütternde Großmäuligkeit nicht weiterlebe.«[17] Dieser Satz fehlt in der von Picker unterschriebenen Originalfassung der Sammlung Bormann. Am Schluß des Dokuments ist dann schließlich ein belangloser Satz eingeschoben, der in der dem Auftraggeber übergebenen Niederschrift ebenfalls fehlt. Unstatthaft ist auch, daß Picker gelegentlich eigene Beobachtungen und Kommentare mit den Gesprächsniederschriften vermengt, so daß die Äußerungen Hitlers nicht klar abgehoben sind.[18]
Legt schon dieser recht unbeschwerte Umgang mit den Texten – und die Beispiele ließen sich vermehren – Zurückhaltung gegenüber der Pickerschen Überlieferung nahe, so wird die kritische Reserve durch zwei Randbemerkungen Bormanns noch verstärkt. Bei der Aufzeichnung Pickers über das Gespräch vom 12. Mai 1942[19]moniert der Leiter der Parteikanzlei: »Diese Niederschrift ist vielfach ganz ungenau, da Dr. Picker, als er sich während der sehr langen Unterhaltung Notizen machte, diesen nicht beifügte, wer diese oder jene Auffassung vertrat!« Ganz offensichtlich scheint es also Picker nicht hinreichend gelungen zu sein, die Auffassung Hitlers von der seiner Tischgäste oder nicht anwesender Parteiführer, die während des Gesprächs zitiert wurden, zuverlässig abzugrenzen. Auch wenn die Berechtigung der Feststellung nicht mehr zu überprüfen ist, muß sie auf jeden Fall zur Vorsicht mahnen. Für Pickers Behauptung, Bormann habe in seinen Aufzeichnungen »ungeniert herumkorrigiert«, gibt es in dem vorliegenden Material keine Anhaltspunkte. Die Einwände sind eher maßvoll als scharf und unsachlich. Den Gesprächsvermerk vom 4. Juli 1942 fand Bormann zum Beispiel »in vielen Fällen nicht ganz zutreffend«, bei einem Gespräch über das Konkordat habe Hitler nämlich erklärt: »Bei einer Reichsregelung müßten wir uns nach dem Gebiet richten, das weltanschaulich am weitesten zurück sei, also für den Gegner besonders günstig.« Picker muß diese Korrektur Bormanns als berechtigt angesehen haben, denn er hat den Satz – ohne ihn freilich als Zusatz von anderer Hand zu kennzeichnen – in leicht abgewandelter Form in seinen Text übernommen, wodurch die betreffende Passage keineswegs präziser und eindeutiger geworden ist.[20] Auch sonst scheint Picker von Bormann diktierte Vermerke beachtenswert gefunden zu haben, denn er hat sie sehr großzügig in seine Ausgabe der Tischgespräche übernommen und nicht immer als fremdes geistiges Eigentum gekennzeichnet.[21]
Da Picker seine für die Parteikanzlei der NSDAP gefertigten Niederschriften als privates Eigentum betrachtet, wird auf absehbare Zeit mit einer historisch-kritischen Ausgabe aller Aufzeichnungen aus dem Führerhauptquartier, wie sie Eberhard Jäckel und Martin Broszat wiederholt gefordert haben, nicht zu rechnen sein. Sie wäre angesichts der Mängel der Pickerschen Überlieferung im Interesse der internationalen Forschung dringend zu wünschen.
Eine Erörterung des Erkenntniswerts der Quelle muß zunächst einmal von den Motiven ausgehen, die Martin Bormann bestimmten, die Monologe Hitlers aufzeichnen zu lassen. Als er nach dem England Flug Heß’s im Mai 1941 die Leitung der Parteikanzlei übernahm, war er sich bewußt, daß der politische Einfluß der NSDAP im Land geschwunden war, weil es ihr an weltanschaulicher Geschlossenheit und einem klaren Kurs fehlte. Hier wollte er Abhilfe schaffen. Da er die enge Bindung der nationalsozialistischen Elite an Hitler kannte und genau wußte, daß selbst die Reichs- und Gauleiter keine eigenständige Position entwickelt hatten, kam nur der Parteiführer selbst als Interpret der Weltanschauung in Frage. Bormann hoffte, durch eine Fixierung der Äußerungen Hitlers eine Art Kompendium für die geistig-politische Ausrichtung der NSDAP anlegen zu können. Gestützt auf die Kommentare des Parteiführers zu konkreten Ereignissen und seine Willensbekundungen im Zusammenhang mit innen- und außenpolitischen Entscheidungen, wollte er die Parteiarbeit koordinieren und aktivieren. Um der NSDAP die stets erstrebte, aber nie erreichte Rolle des »Willensträgers der Nation« zu sichern, versuchte Bormann, die Gedanken und Auffassungen Hitlers sofort in politische Praxis umzusetzen und in die Verordnungen und Weisungen der Parteikanzlei einzuarbeiten. Im Besitz klarer Direktiven mußte es den Politischen Leitern im Land gelingen, so hoffte er, ihren Führungsanspruch gegenüber Staatsbehörden, Dienststellen der Wehrmacht und einflußreichen Wirtschaftskreisen wieder nachdrücklich zur Geltung zu bringen.
In einigen Fällen gab der Leiter der Parteikanzlei die Erklärungen Hitlers unmittelbar als Direktive weiter. So erhielt beispielsweise Alfred Rosenberg, Reichsminister für die besetzten Ostgebiete, am 23. Juli 1942 brieflich alles das übermittelt, was Hitler kurz vorher gesprächsweise an Ansichten über die Ostpolitik entwickelt hatte.[22] In einem anderen Fall ist nachzuweisen, daß eine Aufzeichnung Heims dem zuständigen Reichsminister zugänglich gemacht wurde. Im Anschluß an den Empfang des neu ernannten Justizministers Thierack und seines Staatssekretärs im Führerhauptquartier am 20. August 1942 gab Hitler die sonst übliche Gepflogenheit auf, bei Tisch die gerade anstehenden Beratungsgegenstände nicht zu erörtern. Er kritisierte die Rechtsprechung, die seiner Meinung nach auf mangelnde politische Einsicht zurückzuführen sei, und formulierte dann sehr entschieden seine eigenen Ansichten und Forderungen. Bormann übergab die von Heim angefertigte Monologniederschrift dem Minister, damit er sich eingehend mit den Gedanken seines Führers vertraut und sie zur Richtschnur seines Handelns machen könne. Das ist dann auch geschehen, auf jeden Fall finden sich Formulierungen Hitlers in der Ansprache wieder, die Thierack am 29. September 1942 vor den Oberlandesgerichtspräsidenten und Generalstaatsanwälten hielt.[23] Welche Wirkung diese Rede zeitigte, ob sie die Richter beeindruckt oder gar beeinflußt hat, ist allerdings nicht nachzuweisen. Hier sind Zweifel erlaubt, denn Hitler war auch später immer wieder mit der Justiz unzufrieden.
Überhaupt sollte von den Intentionen und der rastlosen Aktivität Bormanns nicht auf die politische Effektivität des Systems geschlossen werden. Der Leiter der Parteikanzlei hat keineswegs jeden Gedanken, den Hitler aussprach, sofort in eine Anordnung umgeformt,[24] sondern sich genau an die Grenzen gehalten, die Hitler ihm zog. So war ihm unter anderem ein härteres Vorgehen gegen die Kirchen, wie er es wünschte, grundsätzlich untersagt. Auch in der Personalpolitik besaß der Reichsleiter keine Handlungsvollmacht. Hitler behielt sich in allen wichtigen Fällen die Entscheidung selbst vor. Das wußten insbesondere die Gauleiter der NSDAP sowie die Führer der Gliederungen und angeschlossenen Verbände, und deshalb entschieden sie sehr selbstherrlich, ob sie Weisungen Bormanns beachten oder ignorieren wollten. So schwächte beispielsweise der Gauleiter und Reichsstatthalter von Hamburg, Karl Kaufmann, die Kritik Hitlers an der Justiz ab, indem er den Richtern in seinem Oberlandesgerichtsbezirk erklärte, daß sie keinen Anlaß zu Beanstandungen gegeben hätten, daß die Kritik an erster Stelle dem Ministerium und nicht dem einzelnen Richter gelte.[25] Gerade damit widersprach er aber der Auffassung der Parteileitung, ohne daß er dafür gerügt worden wäre. Es wurde von ihm nicht verlangt, die Rücksichten fallenzulassen und einen härteren Kurs zu steuern.
Bormann hat zweifellos dank der intimen Kenntnis der Auffassungen Hitlers den Einfluß der Partei bei wichtigen Entscheidungsprozessen auf oberster Ebene wieder stärken können. Auf einen einheitlichen und klaren politischen Kurs hat er sie damit aber nicht zu bringen vermocht. Dazu war der Weg vom Führerhauptquartier nach Berlin und in die Gauhauptstädte zu weit, und der Krieg engte den Handlungsspielraum ohnedies erheblich ein. Joseph Goebbels, der Gauleiter von Berlin, machte später seinem wachsenden Verdruß in seinem Tagebuch Luft: »Bormann hat aus der Parteikanzlei eine Papierkanzlei gemacht. Jeden Tag versendet er einen Berg von Briefen und Akten, die der heute im Kampf stehende Gauleiter praktisch nicht einmal mehr durchlesen kann.«[26] So gereichte letztlich die genaue Kenntnis der Weltanschauung Hitlers an erster Stelle Bormann persönlich zum Vorteil, indem er durch die Bekundung gleicher Anschauungen sein Ansehen stärkte. Er blieb aber trotz seines rastlosen Eifers und der umfassenden Information bis zum Tode Hitlers gleichwohl nur dessen erster Erfüllungsgehilfe.
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Auf eine eingehende Erörterung des inhaltlichen Ertrags der Monologe Hitlers kann in diesem Zusammenhang angesichts der umfangreichen neueren Hitlerforschung verzichtet werden. Doch lassen sich auch im Rahmen einer knappen Skizze Hinweise auf Tatsachen, die zum gesicherten Erkenntnisstand gehören, nicht vermeiden.
An erster Stelle gibt Hitler in den Erörterungen, insbesondere während der langen Abend- und Nachtstunden, wenn er seine Gedanken »ins Unreine« sprach, Zeugnis von sich selbst. Der Mann, der im Zenit seiner Macht stand, große Teile Europas beherrschte und den Einsatz seiner Armeen in Rußland leitete, der bis zur Krise des Winters 1941/42 auf eine über zehnjährige Serie ständiger Erfolge zurückschauen konnte, besaß zweifellos hohe intellektuelle Fähigkeiten. Mit seinem präsenten Wissen im Bereich des Militärwesens, der Rüstung und der Technik hat er seine Umgebung immer wieder stark beeindruckt. Das gilt nicht minder für Probleme der Kunst und insbesondere der Geschichte und Politik. Sehr viel weniger Interesse zeigte er dagegen – wie ein langjähriger Vertrauter bekundet – für Fragen des »humanistischen Wissengebiets«.[27] Dank seines außerordentlichen Gedächtnisses und bemerkenswerter Literaturkenntnis gelangte Hitler in Spezialbereichen zu Einsichten und Erkenntnissen, die vielen Fachleuten Respekt abnötigten. Dabei war er diesen zumeist durch die Fähigkeit überlegen, den Kern eines Problems sofort zu erfassen und komplizierte Verhältnisse auf einen einfachen Nenner zu bringen. Vor allen Dingen hatte Hitler das Wissen nicht nur präsent, sondern nach dem Zeugnis des Großadmirals Raeder sich »daraus Ansichten und Urteile gebildet, die oft bemerkenswert waren«.[28] Er vermochte in großen Zusammenhängen zu denken und war in vieler Hinsicht – so beispielsweise bei der Frage der Motorisierung der deutschen Armee – seinen verantwortlichen Beratern weit voraus.[29]
Die Monologe Hitlers in seinem Hauptquartier geben von diesen Fähigkeiten nur im begrenzten Umfang Zeugnis. Beispiele sind seine knappen Bemerkungen zu Fragen des Umweltschutzes, die Warnung vor den Folgen einer ungehemmten Ausschöpfung der Rohstoffreserven der Erde (1), die Forderung nach besserer Ausnutzung der natürlichen Ressourcen der Länder (15, 16), oder auch die damals keineswegs gängige Erkenntnis, daß das Auto die Grenzen überwinden und die Völker stärker als vorher miteinander verbinden werde.
Für Hitler war die Motorisierung ein wichtiger Schritt »auf dem Wege zu einem neuen Europa« (2). Die Richtigkeit dieser und anderer Einsichten wird nicht dadurch beeinträchtigt, daß er selbst durch seine Politik diese Entwicklung behinderte. Erkenntnis, Weltanschauung und politische Praxis kollidierten.
Wieweit sich der »Führer und Reichskanzler« dieser Spannung bewußt gewesen ist, wird sich nicht eindeutig klären lassen. Auch bei seinen Monologen im Führerhauptquartier vergaß er niemals die erforderliche Zurückhaltung hinsichtlich seiner Absichten und Pläne. Selbst im kleinsten Kreis verriet er keine Geheimnisse, gab er Zweifel oder Unsicherheit nicht zu erkennen. Zu keiner Zeit hat er vor großen Entscheidungen mit seinen Ratgebern das Für und Wider gegeneinander abgewogen und deutlich gemacht, welches die Motive für sein Handeln in konkreten politischen und militärischen Situationen waren.
Die Aufzeichnungen Heims bezeugen die große Selbstbeherrschung, aber auch die mißtrauische Zurückhaltung Hitlers. Die Tischgäste erhielten keine Hinweise, welche Informationen aus dem In- und Ausland Vorlagen, wie das deutsche Volk auf Opfer und Entbehrungen reagierte und welche Rückwirkungen die schwere Krise des Winters 1941/42 bei der Bevölkerung der besetzten Gebiete und der verbündeten Staaten zeitigte. Überhaupt weilte Hitler in Gedanken weit mehr in der Vergangenheit oder in der Zukunft als in der Gegenwart. Mit großer Willenskraft verdrängte er bei Tisch die ihn bewegenden Probleme und Sorgen des Alltags und gab sich als aufmerksamer Gastgeber, der zwanglos über Bruckner und Brahms oder zweckmäßige Ernährung sprach beziehungsweise über Ereignisse oder Gestalten aus der Frühzeit der NSDAP berichtete.
In diesem Verhalten wird aber noch ein anderer Wesenszug Hitlers sichtbar. Er war kein politischer Pragmatiker, der sich auf die Lösung der Tagesfragen konzentrierte, sondern der Repräsentant einer Welt-anschauung, der er zum Sieg verhelfen wollte. Deshalb richtete er gerade in Zeiten, in denen besonders viel auf ihn einstürmte, seinen Blick in die Zukunft. Überzeugt davon, daß er das »ewige Naturgesetz« (117) kenne, sein Auftrag darin bestehe, ihm zur Geltung zu verhelfen, befreite er sich mit großer Anstrengung von Belastungen und Schwierigkeiten, setzte er sich über Widerstände und vielfach auch über Tatsachen hinweg, die nicht in sein Konzept paßten. Er kannte sehr genau die Grenzen, die menschlichem Handeln gezogen sind, glaubte aber, sie durch Energie, insbesondere durch einen unerschütterlichen und kompromißlosen Glauben an seine Mission weit hinausschieben und Menschen wie Mächte in seinen Bann zwingen zu können.
Hitler war davon überzeugt, daß die Epoche des Bürgertums beendet sei und die bürgerlichen Nationalstaaten den Krieg nicht überdauern würden. Im Weltanschauungskrieg der Gegenwart mußten sie – da ohne innere Stärke und einigende Kraft – seiner Meinung nach zwangsläufig zerfallen und die vitalen und unverbrauchten Schichten der Nationen dann das Lager stärken, das besonders entschlossen und gläubig kämpfte. Wie sich der Nationalsozialismus im innenpolitischen Ringen gegen weit überlegene Kräfte der Parteien und die Machtmittel des Staates durchgesetzt hatte, so mußte er sich auch im Krieg durch äußerste Entschlossenheit und Glaubensbereitschaft behaupten. Nicht die überlegeneren Waffen, sondern die gläubigeren Kämpfer würden letztlich die Entscheidung herbeiführen.
Sehr klar und bestimmt hielt Hitler am 27. Januar 1944 den Generalfeldmarschällen und Befehlshabern vor, daß es eben auf diese gläubige Hingabebereitschaft jedes einzelnen Soldaten ankomme. »Es ist vielen gänzlich unbekannt«, so erklärte er, »wie weit dieser Fanatismus geht, der so viele meiner Parteigenossen früher bewogen hat, alles hinter sich zu lassen, sich in Gefängnisse sperren zu lassen, Beruf und alles hinzugeben für eine Überzeugung… Derartiges ist in der deutschen Geschichte nur in der Zeit der Religionskriege der Fall gewesen, als Hunderttausende von Menschen ihre Heimat, Haus, Hof und alles verließen und weit weg gingen, arm wie die Kirchenmäuse, obwohl sie vorher vermögende Menschen waren, – aus einer Erkenntnis, einer heiligen Überzeugung heraus. Das ist heute wieder der Fall.«[30]
Zweifellos waren die Nationalsozialisten durch ihre Glaubens- und Hingabebereitschaft den bürgerlichen Parteien der Weimarer Republik gegenüber im Vorteil gewesen. Und ganz sicher hat Hitler auch seiner Partei über Niederlagen und schwere Krisen hinweggeholfen dadurch, daß er nie aufgab, gerade in schwierigen Situationen Zuversicht an den Tag legte und seine Anhänger damit aufrichtete. In dieser Unbeirrbarkeit und dem Glauben an seinen Auftrag lag ein Teil seiner Stärke (32). In derselben Weise versuchte Hitler auch im Krieg dem deutschen Volk das Gefühl der Überlegenheit und die Überzeugung vom sicheren Endsieg zu vermitteln. Das ist zweifellos in einem hohen Maße gelungen, solange die Erwartungen nicht im Widerspruch zu den Realitäten standen. Auf die Dauer reichten aber Willenskraft und Glaubensstärke nicht aus, dem wachsenden Druck der Kriegsgegner standzuhalten. Zu den konkreten Machtfaktoren auf der Gegenseite, die mehr und mehr in Erscheinung traten, gehörten die innere Stabilität der Sowjetunion, die Leistungsfähigkeit der Roten Armee und die wirtschaftliche Kraft des Landes, die Geschlossenheit und Widerstandsbereitschaft der britischen Bevölkerung, das industrielle Potential der USA, der Lebens- und Freiheitswille der von Deutschland besiegten Nationen Europas.
Es ist nicht anzunehmen, daß Hitler diese Gegebenheiten verkannte, wie es seine Äußerungen im Führerhauptquartier glauben machen. Auch bei den Gesprächen im engsten Kreis verlor er die psychologische Wirkung seiner Worte nicht aus dem Auge. Bemerkungen wie die, daß die Amerikaner »das dümmste Volk« seien, »das man sich denken« könne (82), Behauptungen über die wachsenden Schwierigkeiten Englands (81, 88) oder die immerwährende waffentechnische Überlegenheit Deutschlands (84) sollten an erster Stelle das Selbstvertrauen der Umgebung stärken. Er hielt es für erforderlich, den nüchternen Lagebeurteilungen seiner politischen Berater entgegenzuwirken, die durch ihre Zurückhaltung und Vorsicht seiner Meinung nach die Schwungkraft der Soldaten und der Bevölkerung hemmten. Hitler war überzeugt davon, daß er nur dank seines »Berge versetzenden Optimismus« so viel bewirkt und erreicht habe (79).
Grundsätzlichere Bedeutung kommt den Äußerungen zu Fragen der Innenpolitik und Weltanschauung zu. Der Führer des Dritten Reichs war ein erbitterter Feind der Revolution mit ihren egalitären und demokratischen Triebkräften. Sie war seiner Meinung nach destruktiv, ihre Träger gehörten zur negativen Auslese des Volkes. Immer wieder findet sich die Behauptung, die Justiz habe während des Ersten Weltkriegs das Verbrechertum gehegt, 1918 sei es nur erforderlich gewesen, die Gefängnisse zu öffnen, und schon habe die Revolution ihre Führer gehabt (18, 52, 60). In anderen Zusammenhängen werden jedoch die Errungenschaften der Revolution gepriesen. Sie habe die Fürsten beseitigt (20), den Klassenstaat aufgebrochen, das Monopol des Bildungs- und Besitzbürgertums in Frage gestellt und somit befähigten Menschen aus den unteren Volksschichten Aufstiegschancen eröffnet (26, 50, 56). Mitunter wird sogar den Revolutionären Anerkennung gezollt. Angesichts der »blödsinnigen Borniertheit« des sächsischen Bürgertums beispielsweise sei der Zulauf der Arbeiter zur KPD in diesem Lande sehr verständlich (13), wie ihm überhaupt Kommunisten wie Ernst Thälmann sehr viel mehr Sympathie abnötigten als Adlige wie etwa der österreichische Fürst Starhemberg (13), der sogar 1923 in seiner Gefolgschaft am Putsch in München teilgenommen hatte.
Bei alledem ließ Hitler in seinen Erörterungen aber keinen Zweifel daran, wie sehr er sich der nationalstaatlichen Tradition des 19. und frühen 20. Jahrhunderts verbunden fühlte und zu vollenden gedachte, was vor ihm an Großraumkonzepten und imperialen Ideen entwickelt und propagiert worden war. Er war aber davon überzeugt, daß er dieses Ziel nur erreichen werde, wenn er sich auf eine breitere, kraftvollere und vitalere Trägerschicht stützen könne. Das Bürgertum und die alten Führungsschichten schienen ihm dafür total ungeeignet. In ungewöhnlich barscher Form kritisierte er die ehemaligen deutschen Herrscherhäuser sowie die regierenden Fürsten Europas (9, 20, 55), den Adel, das Offizierkorps (13,28,31), die Diplomaten (121), Beamten und Juristen (14,48,130), die Intellektuellen und Wissenschaftler. Wieder und wieder wird dem Bürgertum in toto Halbheit, Feigheit und Unfähigkeit bescheinigt (13,20). Auch das kapitalistische System wird nicht geschont (15). » Die Wirtschaft besteht«, so erklärte Hitler unumwunden, »überall aus den gleichen Halunken, eiskalten Geldverdienern. Die Wirtschaft kennt den Idealismus bloß, wenn es sich um die Löhne der Arbeiter handelt« (39).
Namhafte Vertreter der deutschen Industrie und manche bürgerlichen Experten, die solche und noch schärfere Äußerungen Hitlers vernahmen, hielten ihn für einen radikalen Eiferer oder gar für einen verkappten Bolschewisten.[31] Diese Auffassung trifft aber ebensowenig den Kern des Problems wie die entgegengesetzte, die aus anerkennenden Worten für Unternehmer und einem Lob auf die Leistungsfähigkeit der deutschen Wirtschaft und deren Förderung auf eine Abhängigkeit Hitlers von diesen Kreisen schließen will. In diesen Monologen läßt sich kein Nachweis dafür finden, daß Hitler den Interessen des Kapitals dienen wollte. Er band sich an keine Klasse, nahm kaum Rücksicht auf die Belange bestimmter Gruppen und Schichten. Im nationalsozialistischen Staat sollten die Klassen beseitigt und damit alle Kräfte des Volkes freigesetzt werden, sämtliche Bevölkerungskreise Aufstiegschancen und Betätigungsmöglichkeiten erhalten. Alle Gruppen sollten in der Volksgemeinschaft, einer neuen, höheren Einheit, zusammengefaßt werden.
Da in der nationalsozialistischen Volksgemeinschaft aber die Rechte und Funktionen der gesellschaftlichen Gruppen nicht endgültig festgelegt wurden, auch die NSDAP und ihre Gliederungen keine klar umrissenen Aufgaben zugewiesen erhielten, funktionierte sie, solange alle daraus einen Vorteil zogen und einen Teil ihrer Interessen und Forderungen verwirklicht sahen. In dem Maß, in dem die Anforderungen wuchsen, kam es zu Ermüdungserscheinungen, Resignation und Gemeinschaftsverweigerungen. Hitler sah sich mehr und mehr zur Kritik an Staatsorganen (107), Beamten (41, 59), Richtern (130, 177), Parteiführern und Ministern veranlaßt, weil sie den Einzel- und Gruppeninteressen gegenüber zu nachsichtig waren. Solange aber noch bei der Mehrheit ein Grundkonsens hinsichtlich der Ziele bestand, für die gekämpft wurde, setzte der Staats- und Parteiführer in allen entscheidenden Fragen seinen Willen unangefochten durch.
Daß dies so uneingeschränkt gelang, war zweifellos auf die Dynamik und den Aktionismus zurückzuführen, die der Führer der NSDAP in Deutschland entfesselt hatte. Er ging dabei von der Erkenntnis aus, daß in Zeiten gesellschaftlicher Erschütterungen, wirtschaftlichen und politischen Wandels Behörden und Institutionen zu langsam und schwerfällig reagierten, daß die Experten auf allen Gebieten unzureichende Antworten und Lösungen anzubieten hätten und dadurch das Vertrauen in den Staat und seine Organe empfindlich erschüttert werde. Wenn in solchen Situationen unkonventionelle Methoden praktiziert, mit unverbrauchten Kräften Alternativen entwickelt würden, so erhielten diese von vornherein einen Vertrauensvorschuß. Darauf baute Hitler. Durch die Errichtung spezieller Ämter, die Erteilung von Sondervollmachten und Spezialaufträgen gewann das nationalsozialistische Regime eine bemerkenswerte Stoßkraft, anfangs sogar einen Schwung, der in Teilbereichen noch bis in die ersten Kriegsjahre hinein vorhielt.
Dieser Prozeß verursachte aber auch erhebliche Schwierigkeiten. Es entwickelte sich eine schier endlose Kette von Kompetenzstreitigkeiten und Rivalitäten, die zu Reibungsverlusten, Desorganisation und vielfach auch zu Mißerfolgen führte. Hitler hat, um sich zur zügigen Durchführung seiner Pläne der Mithilfe aller Kräfte zu versichern, diese Dynamik ausgelöst und an dem System auch noch festgehalten, als die Nachteile offen zutage traten. David Irving kommt daher zu dem Schluß, daß er alles andere als der allmächtige Führer war und sein Einfluß auf die ihm unmittelbar Unterstellten, besonders unter den extremen Belastungen des Krieges, immer geringer wurde.[32] Diese These ist insofern richtig, als der Wille Hitlers durchaus nicht immer und in allen Bereichen bis zu den untersten Staatsund Parteiorganen durchdrang, er auch infolge mangelnder weltanschaulicher Geschlossenheit in der Partei unterschiedlich ausgelegt und verstanden wurde. In den hier vorliegenden Monologen beanstandet er ja das Versagen der SA-Führer (79), die Eigenmächtigkeiten einzelner Gauleiter, die unzureichende Durchführung seiner Anordnungen. Es ist aber falsch, wenn Irving folgert, die Kriegführung hätte Hitlers Kraft und Konzentration so sehr in Anspruch genommen, daß er die Bereiche der Innen- und Besatzungspolitik seinen verantwortlichen Ministern und Vertrauten, insbesondere Himmler, Goebbels und Bormann überlassen habe. Der Leser dieser Monologe kann sich vom Gegenteil überzeugen.
Ohne ihn, so glaubte der Führer und Reichskanzler, könne Deutschland einpacken (79), seien wichtige Entscheidungen nicht gefällt worden (32). Auch in seinem Hauptquartier war Hitler von seiner Unentbehrlichkeit überzeugt, er war ausgezeichnet informiert und versäumte nicht, überall einzugreifen, wo er es für erforderlich hielt. Er kritisierte ungeschickte Formulierungen in einem Leitartikel des Reichsministers Goebbels, registrierte Ereignisse in einzelnen Gauen, schenkte der Kunstförderung seine Beachtung, untersagte Versuche einer Verwaltungsvereinfachung im Krieg, befahl die Erschießung des Brandstifters der »Bremen«, überwachte und tadelte die Urteile deutscher Gerichte, nahm mit Empörung die Predigten des Bischofs von Münster zur Kenntnis. Hitler ließ sich, das zeigen auch die Protokolle der Besprechungen des Ministeriums Speer und viele andere Zeugnisse, bis in die Details hinein unterrichten und entschied gerade in innenpolitischen Angelegenheiten selbst. Niemand wußte besser als er, daß der Krieg nur geführt werden konnte, wenn ihm eine Volksmehrheit folgte, mindestens aber das Unvermeidliche hinnahm. Gerade deshalb widmete er den Aufgaben der Innenpolitik, besonders der inneren Sicherheit, außerordentlich große Aufmerksamkeit.
Noch wichtiger ist eine andere Überlegung. Hitler führte den Krieg, weil er in der Konsequenz seiner Weltanschauung lag: Der Lebensraum des deutschen Volkes sollte, darüber sprach er in seinem Hauptquartier immer wieder sehr eindringlich, erobert und für viele Generationen gesichert werden. Nur dieser Landgewinn schaffe die Voraussetzung zur Lösung der sozialen Frage. Dadurch, daß er jedem einzelnen die Möglichkeit bot, seine Fähigkeiten voll zu entfalten, hoffte der Programmatiker des Nationalsozialismus, die Spannungen und Rivalitäten in der Gemeinschaft zu vermindern oder ganz zu beseitigen (140). In diesem Weltanschauungskrieg verlor Hitler die Ziele, derentwegen er geführt wurde, nicht aus dem Auge. Die wichtigsten waren die Festigung der nationalsozialistischen Vormacht in Europa sowie die Ausweitung des deutschen Einflusses in der Welt. In diesen Kontext gehörten generelle Fragen der Besatzungspolitik in Ost und West wie auch der Zusammenarbeit mit verbündeten Staaten und Völkern. Nach Hitlers Auffassung ließ sich die deutsche Herrschaft nur sichern, wenn es gelang, möglichst viele Menschen »germanischen Bluts« in der Welt zu gewinnen (125). Voraussetzung für die Stärkung des eigenen Volkstums war jedoch die Zurückdrängung und Beseitigung aller derer, die man als minderwertig und gemeinschaftsfremd ansah: Juden, Slawen, Zigeuner und andere. Endlich ging es darum, den Einfluß der Kreise zu unterbinden, die den Krieg nicht als das »Lebensgesetz der Völker« anerkannten, weder im sozialen Zusammenleben das »Recht des Stärkeren« noch im beruflichen Wettbewerb Rasse und Abstammung als Kriterien gelten lassen wollten: Christen, Marxisten, Pazifisten. In diesen Bereichen hat Hitler niemals die Verantwortung delegiert, sondern sich jede Grundsatzentscheidung selbst Vorbehalten. Die Behauptung Irvings, Hitler sei über wesentliche Maßnahmen gerade auf diesem für ihn zentralen Gebiet nicht unterrichtet gewesen, ist durch nichts zu belegen. Eine Analyse der Monologe weist’ in die entgegengesetzte Richtung.
Sebastian Haffner hat in seinen »Anmerkungen zu Hitler« dargelegt, der Charakter des nationalsozialistischen Führers sei früh festgelegt gewesen und sich »auf eine erstaunliche Weise immer gleich« geblieben.[33] Das trifft vor allem für die weltanschaulichen Grundpositionen zu. Den Nachweis hat Eberhard Jäckel in seiner Studie über »Hitlers Weltanschauung« geführt.[34] Hier sollen nur kurz die Gedanken gestreift werden, die Hitler in den von Heim aufgezeichneten Monologen entwickelte. Die Niederlage von 1918, so meinte er, und die harten Bedingungen des Friedensvertrags verletzten den Nationalstolz und das Selbstbewußtsein des deutschen Volkes so sehr, daß es alle Kraft anspannte, aus der Bedrängnis wieder herauszukommen. Ohne die kompromißlose Haltung der Siegermächte des Ersten Weltkriegs wäre es niemals gelungen, die nationalen Leidenschaften in einem solchen Maß zu entfachen, die Willensanspannung zur Wiedererlangung der früheren Weltgeltung zu erreichen. Hitler erstrebte sie, im Gegensatz zu vielen seiner Anhänger und Wähler, aber nur als Voraussetzung für die Errichtung eines größeren Reichs, das zugleich die Ordnungsmacht eines neuen Europas werden sollte. Um das Ziel zu erreichen, durfte kein Staat in der Lage sein, diesen Bestrebungen Widerstand entgegenzusetzen. Hitler war zutiefst davon überzeugt, daß das Land »nach ewigem Naturgesetz« demjenigen zustände, der es eroberte, »weil die alten Grenzen dem Wachstum des Volkes« keine hinreichenden Entwicklungsmöglichkeiten boten (117).
Die erste und wichtigste Voraussetzung für die Ausdehnung des deutschen Machtbereichs war nach Hitlers Weltanschauung die Stärkung der vitalen Energien des Volkes, die Mobilisierung der Kampfbereitschaft. Da sich Hitler den Krieg aus der Geschichte nicht wegdenken konnte, hielt er es für erforderlich, die Menschen zur Bejahung des Kampfes ums Dasein zu erziehen. Durchaus konsequent wünschte er daher dem deutschen Volk, daß es alle 15 bis 20 Jahre einen Krieg führen müsse (17). Nur so könne es zur äußersten Kraftanspannung gelangen und die erforderliche Härte bewahren. Um Jung und Alt, Arme und Reiche, Bürger und Arbeiter zur Identifizierung mit dem nationalsozialistischen Regime zu bringen, sie zu bewegen, ihre private Existenz vorbehaltlos mit der des Staats zu verbinden, wurden Vorrechte abgeschafft, Diskriminierungen beendet, Bildungs- und Aufstiegschancen verbessert. Vor allem sollte die gesamte Bevölkerung Zugang zu den Kulturgütern der Nation erhalten. Allerdings behielt sich die nationalsozialistische Staatsführung die Bestimmung dessen vor, was Kunst sei, welche Werke der Musik, Dichtung und Malerei dem Bewußtsein des Volkes entsprächen. Zudem erwartete Hitler, daß jeder seine Chance nutze, die ihm gebotenen Möglichkeiten voll ausschöpfe. Unterließ er das, entzog er sich bewußt dem Lebenskampf, wie ihn der Staat forderte, entfiel alle Förderung und Toleranz. Ein gleiches galt für das gesamte Volk. Hitler sprach von ihm mit Anerkennung und Respekt, rühmte den Fleiß, die Treue und viele andere positive Eigenschaften. Aber er verlangte, daß es den Kampf annehme und sich in ihm bewähre. Trat es nicht entschlossen und tapfer an, zeigte es Symptome der Schwäche, gab es keine Entschuldigung: »Wenn das deutsche Volk nicht bereit ist, für seine Selbsterhaltung sich einzusetzen, ganz gut: dann soll es verschwinden!« (114)
Hitler selbst scheute vor keiner Anstrengung und keinem Mittel zurück, um die Stärke und Kampfbereitschaft, vor allem aber die innere Geschlossenheit der Nation zu erhöhen. Dem diente der Versuch, möglichst viele Menschen deutschen Volkstums aus den besetzten Gebieten Europas und aus anderen Staaten in das Reich zu holen, Volksdeutsche oder Freiwillige aus verwandten Nationen in Verbänden der Wehrmacht oder der Waffen-SS kämpfen zu lassen, Minderheiten oder einzelne Angehörige fremder Nationen, soweit sie für assimilierbar gehalten wurden, zur Mitarbeit heranzuziehen.
Mit der gleichen Kompromißlosigkeit, mit der die Auslese derer erfolgte, die nach weltanschaulichen Grundsätzen als brauchbar und qualifiziert galten, wurden die erklärten Feinde des Regimes bekämpft. Dazu gehörten unter anderem Tschechen, Polen, Russen und an erster Stelle die Juden. Hitler betonte immer wieder mit Nachdruck, daß es für »Gemeinschaftsfremde« keine Nachsicht gebe. Es ist in letzter Zeit behauptet worden, die Deportation und Ermordung der europäischen Juden seien ohne Kenntnis des deutschen Staatsoberhaupts erfolgt.[35] Nach einer anderen Auffassung ist der Befehl zu deren Tötung erst erteilt worden, nachdem sich die Entwicklung im Widerstreit rivalisierender Instanzen und Kräfte so unheilvoll zugespitzt habe, daß es keine Alternative mehr gab.[36] Beide Thesen sind meines Erachtens unhaltbar. Auch die Annahme, der Beschluß zur »Endlösung der Judenfrage« in Europa sei von Hitler angesichts der Erkenntnis gefaßt worden, daß der Krieg militärisch nicht mehr entschieden werden könne,[37] findet weder in diesen Gesprächsaufzeichnungen noch in anderen Quellen eine Bestätigung.
Hitler war der unbestrittene Führer, er traf oder billigte alle wesentlichen Entscheidungen, so auch die folgenschwerste des ganzen Krieges. Die »Herausnahme« der Juden aus Europa entsprach der Konsequenz seiner Weltanschauung, wie alle seine Ausführungen über dieses Thema zeigen. Und auch an den Befehlen und Maßnahmen läßt sich die Konsequenz des Vorgehens von 1939 bis 1941 klar erkennen. Die Einsatzgruppen, die den deutschen Armeen nach Rußland folgten, besaßen eindeutige Weisungen. Am 31. Juli 1941 wurde Heydrich beauftragt, ein Konzept zur Entfernung der Juden aus dem gesamten deutschen Macht- und Einflußbereich zu entwickeln. Daß dabei nicht mehr an eine Vertreibung gedacht war, zeigt die Erschwerung und ab Oktober 1941 das Verbot jeder Auswanderung. Am 15. Oktober begann dann die systematische Deportation der Juden aus Deutschland und dem Protektorat Böhmen und Mähren.
Zehn Tage darauf, am 25. Oktober, erklärte Hitler im Beisein von Himmler und Heydrich im Führerhauptquartier: »Vor dem Reichstag habe ich dem Judentum prophezeit, der Jude werde aus Europa verschwinden, wenn der Krieg nicht vermieden bleibt. Diese Verbrecher-Rasse hat die zwei Millionen Toten des Weltkriegs auf dem Gewissen, jetzt wieder Hunderttausende. Sage mir keiner: wir können sie doch nicht in den Morast schicken! Wer kümmert sich denn um unsere Menschen? Es ist gut, wenn uns der Schrecken vorangeht, daß wir das Judentum ausrotten. Der Versuch, einen Judenstaat zu gründen, wird ein Fehlschlag sein« (44). In dieser Zeit sind ohne Zweifel alle grundsätzlichen Entscheidungen gefallen. Heydrich traf daraufhin noch die technischen und organisatorischen Vorkehrungen, so daß er im November die Staatssekretäre aller beteiligten Ministerien für den 9. Dezember 1941 zur Beratung in das Haus am Wannsee einladen konnte. Der Termin für die Konferenz mußte mit Rücksicht auf die Geschehnisse an der Ostfront verschoben werden, die »Endlösung« nicht. Sie begann im Dezember 1941.
Angesichts der Kompromißlosigkeit bei der Durchsetzung seiner weltanschaulichen Ziele stieß Hitler auf den permanenten Widerstand aller gegnerischen Kräfte in Europa. Der Kampf gegen Kommunisten, Sozialisten und Pazifisten, von Anfang an geführt, wurde während des Krieges ständig härter. Komplizierter gestaltete sich die Auseinandersetzung mit den liberalen und konservativen Kräften im Bürgertum, die mit fortschreitender Entwicklung mehr und mehr Vorbehalte äußerten und zahlreiche Anordnungen umgingen oder verzögerten. Sie konnten nur selten gezwungen oder verdrängt werden, weil sie als Experten in ihren Tätigkeitsbereichen nicht zu ersetzen waren. Im Verdruß darüber übte Hitler immer wieder Kritik an Beamten, Lehrern, Professoren und Intellektuellen, die den Erfordernissen der Zeit nicht Rechnung trügen. Besonders eindringlich tritt die Verschärfung des Weltanschauungskampfes in den Anklagen gegen das Christentum und die christlichen Kirchen zutage. Da Christen grundsätzlich jeden Menschen als Geschöpf Gottes achten, lehnten sich viele von ihnen gegen die Praktiken der Rassen-, Volkstums- und Besatzungspolitik auf, als sie erkannten, daß es sich dabei nicht um vorübergehende Übertreibungen oder Auswüchse, sondern um ein planvolles Vorgehen handelte. Zur Gefahr für die nationalsozialistische Staatsführung wurde dabei nicht nur die kleine Gruppe derer, die aktiv Widerstand leistete, sondern ebenso die ständig wachsende Zahl der Christen, die sich aus Gewissensnot ganz oder teilweise dem Regime verweigerten.
Die Anwürfe gegen die Kirchen und das Christentum fielen nicht zuletzt deshalb so scharf aus, weil Hitler keineswegs areligiös war, sondern an einen Schöpfer glaubte, im Gegensatz zu den Christen jedoch davon überzeugt war, dessen Willen zu kennen und zu voll strecken. Von seinem Standpunkt aus handelten die Kirchen mit der Beachtung des Liebesgebots, das unheilbar Kranke, Menschen unter-schiedlicher Hautfarbe und Rasse sowie Ungläubige einschloß, ganz und gar widernatürlich. Für ihn war deshalb das Christentum »Vor- Bolschewismus« (40). Paulus hatte nach Hitlers Auffassung die Lehre Christi umgeformt und benutzt, um das römische Weltreich von innen her auszuhöhlen und zu Fall zu bringen. Durch die Forderung nach Gleichheit aller Menschen sei der Aufstand der Niederen und Minderwertigen eingeleitet, der Boden für Umsturz und Zerstörung vorbereitet worden. »Das reine Christentum«, so folgerte Hitler, »führt zur Vernichtung des Menschentums, ist nackter Bolschewismus in metaphysischer Verbrämung« (66).
Die verbale Radikalität der Angriffe gegen das Christentum war ferner dadurch mitbestimmt, daß Hitler genau wußte, daß er während des Krieges keinen entschlossenen Kirchenkampf führen konnte. Er sah durchaus, welche Macht die Kirchen noch immer darstellten. Ein großer Konflikt mußte also zwangsläufig zu einer tiefen Beunruhigung der Bevölkerung führen und während des Krieges große Gefahren heraufbeschwören. Deshalb schien es geraten, die Opposition der Bischöfe, Geistlichen und kirchlichen Laien lediglich zu registrieren und die Abrechnung auf eine spätere Zeit zu vertagen (130).
Hitlers scharfe Frontstellung gegen das Christentum wurde auch innerhalb der NSDAP und ihrer Gliederungen keineswegs von allen gutgeheißen. Minister, die ihr Amt durch die Partei erlangt hatten, scherten hier aus der Reihe. Selbst in der SS gab es noch Führer und Mitglieder, die nicht aus der Kirche ausgetreten waren und im Fall einer Auseinandersetzung in ernsthafte Konflikte geraten mußten. Nicht anders war es im Korps der politischen Leiter bis hinauf in die obersten Ränge. Gerade an diesem Beispiel – es ließen sich noch andere beibringen – wird sichtbar, daß die NSDAP kein monolithischer Block war, ja daß es selbst in entscheidenden Fragen keinen Grundkonsens gab. Im Weltanschauungskampf konnte Hitler sich nicht bedingungslos auf seine Partei stützen, er war vielmehr auf andere Kräfte und Machtträger zur Durchführung seiner Pläne und Befehle angewiesen.
Doch waren andere Gruppen des deutschen Volkes erst recht nicht vorbehaltlos bereit, die Ziele des nationalsozialistischen Staats zu ihren eigenen zu machen. In Hitlers Volksgemeinschaft waren die sozialen Gegensätze und die alten Leitbilder, wie gezeigt wurde, keineswegs überwunden, sondern nur zurückgedrängt; sie brachen wieder auf, als die Kräfte der Bevölkerung infolge der raschen Wiederaufrüstung und militärischen Expansion überspannt wurden. Schon vor Kriegsbeginn sank die Begeisterung des nationalen Bürgertums, die es angesichts der Wiedereinführung der allgemeinen Wehrpflicht und der außenpolitischen Erfolge des Dritten Reichs gezeigt hatte. Reglementierungen, wachsende Beschränkungen der wirtschaftlichen, geistigen und kulturellen Betätigung und die ständige Gefahr äußerer Konflikte führten zur Neubelebung verblaßter Prinzipien. Die Arbeiterschaft, die zu großen Teilen die Bemühungen um die Wirtschaftsbelebung ebenso anerkannt hatte wie die Verbesserung der Sozialleistungen, lehnte sich zunehmend gegen die Beschränkungen bei der Wahl des Arbeitsplatzes und der Durchsetzung ihrer Lohnforderungen auf. Je machtloser sie sich gegenüber Beschlüssen zur Verlängerung der Arbeitszeit und der Verschlechterung der Beschäftigungsbedingungen fühlte, desto stärker wurde ihr die Zerschlagung der gewerkschaftlichen Organisationen bewußt.
In Hitlers Denken hatten die weltanschaulichen Ziele absoluten Vorrang, so daß er sich über die Belange und Wünsche der Bevölkerung hinwegsetzte, sobald seine Herrschaft sicher etabliert war. Sein Regime wurde kompromißlos, die Unterführer und Generale sollten »eiskalte Hundeschnauzen« und »unangenehme Leute« sein (98), wenn es um die Bewältigung der gestellten Aufgaben ging. Von der Richtigkeit dessen überzeugt, was er erstrebte, ließ er keine Milde und Nachsicht aufkommen. Er verstand die Menschen mit ihren Fehlern und Schwächen, verbot sich und anderen aber, ihnen Rechnung zu tragen. Sein Regime stand nicht im Dienst der Menschen, sondern die Menschen wurden seiner Weltanschauung dienstbar gemacht.
In den letzten Jahren sind mancherlei Versuche zur Revision des Hitler-Bildes unternommen worden. Danach erscheint der Führer des Dritten Reichs als der Mann des Friedens, als Förderer der Künste und Baumeister eines neuen, schöneren Europas.[38] Belege für diese Thesen lassen sich auch in den hier veröffentlichten Monologen durchaus finden. Und es besteht kein Zweifel, daß Hitler bis zum Schluß Menschen für sich und seine Ziele zu gewinnen und zu begeistern verstand. Aber wer diese Gesprächsvermerke aufmerksam liest, kann sich auch nicht der Erkenntnis verschließen, daß er das Glück künftiger Generationen auf dem Unglück derer aufbauen wollte, die er zu Feinden erklärte oder die nicht so handelten und glaubten wie er. Auf dem Weg in seine Zukunft blieben als Opfer nicht nur Feinde, sondern auch begeist erte Anhänger und treue Gefolgsleute zurück.
Hinweise zur Edition
Die hier veröffentlichten Texte befinden sich alle in der von Martin Bormann angelegten Sammlung der »Führergespräche«. Sie sind unter Beibehaltung der chronologischen Ordnung ungekürzt abgedruckt. In der Regel faßte Heim unmittelbar nach jedem Gespräch den Inhalt in einem Vermerk zusammen. Nur in einigen Fällen trug er Äußerungen in späteren Aufzeichnungen nach, so daß sich leichte Abweichungen in der Chronologie ergeben (91). Gestrichen wurden lediglich die regelmäßig wiederkehrenden Eingangsformeln: »Der Chef sprach sich beim Tee in ungefähr folgenden Gedankengängen aus« oder: »Der Chef sprach sich dem Sinne nach u. a. in folgenden Gedankengängen aus.«
Die Rechtschreibung wurde normalisiert; Korrekturen von offen-sichtlichen Schreibfehlern, besonders bei Personennamen, sind nicht gekennzeichnet. Die Auslassungen im Text sind im Original vorhanden. Dabei ist unklar, ob Heim die Lücken ließ, weil er die Angaben nicht richtig im Gedächtnis behielt, oder ob es andere Gründe für die Auslassungen gibt.
Die Gesprächsaufzeichnungen Heims, die Henry Picker abschrieb und in seine Ausgabe der »Tischgespräche« übernahm, sind alle durch einen Stern hinter der Dokumentennummer gekennzeichnet. Angesichts der Fehler und Flüchtigkeiten, die Picker bei den Abschriften oder der Drucklegung seiner Dokumente unterlaufen sind, sollten diese Texte künftig nach der hier vorliegenden Ausgabe zitiert werden. Der Herausgeber hielt es nicht für erforderlich, auf alle Abweichungen und Versehen hinzuweisen, da dies die Lesbarkeit der Quelle beeinträchtigt und den Anmerkungsapparat aufgebläht hätte.
Das von Picker in seine Edition aufgenommene Dokument 6 vom 9. August 1941 befindet sich nicht im Bestand der Gesprächsniederschriften. Es ist auch nicht von Heim abgefaßt worden, wie Picker behauptet. Ob diese »Grundsätze der Offiziers-Ehrauffassung« anhand der von Hitler persönlich gegebenen Stichworte und Leitgedanken formuliert wurden, muß dahingestellt bleiben. Sie gehören nicht in diese Sammlung und sind auch in der ersten, von Gerhard Ritter besorgten Edition, der »Tischgespräche« nicht enthalten.
Vier Monologe Hitlers – Nr. 41, 61, 62 und 213 – zeichnete Martin Bormann selbst auf. Sie sind ihrem Charakter nach mehr Aktenvermerke und zum Teil auch als solche diktiert worden. Da sie der Leiter der Parteikanzlei aber selbst als »Führergespräche« rubrizierte und chronologisch in seine Sammlung einordnete, sind sie in diese Ausgabe mit aufgenommen worden, desgleichen die Dokumente 203 bis 212, die nach dem Weggang Heims ein Referent Bormanns fertigte.
Alle anderen Dokumente wurden von Heim diktiert und unterschrieben.
Die Kommentierung der Monologe Hitlers ist bewußt knapp gehalten worden. Der Herausgeber hat darauf verzichtet, Meinungsäußerungen zu Fragen der Geschichte, Politik, Weltanschauung oder Kunst zu interpretieren, da dies den Anmerkungsapparat mehr als verdoppelt hätte.
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[1] Vgl. Gespräch Nr. 28, S. 74.
[2] Generaloberst Haider, Kriegstagebuch Bd. III, bearbeitet von Hans-Adolf Jacobsen. Stuttgart 1964, S. 518 f. (8. 9. 1942).
[3] Notizen des Generals Warlimont. Kriegstagebuch des OKW, Bd. 2,1. Halbband. Zusammengestellt und erläutert von Andreas Hillgruber. Frankfurt/Main 1963, S. 697.
[4] So berichtet Heinrich Hoffmann über ein Gespräch mit Hitler im Spätsommer oder Herbst 1942, in dem dieser seine Offiziere »ein Pack von Meuterern und Feiglingen« genannt habe. Hoffmann vermerkt: »Ich war aufs Tiefste betroffen von diesem jähen Haßausbruch. So hatte ich Hitler noch nie reden hören.« Heinrich Hoffmann, Hitler, wie ich ihn sah. München-Berlin 1974, S. 178.
[5] Bormann in Briefen an seine Frau. Jochen von Lang, Der Sekretär. Stuttgart 1977, S. 230.
[6] Sterbeurkunde des Standesamts I in Berlin. Vgl. Joseph Wulf, Martin Bormann. Gütersloh 1962, S. 223.
[7] Henry Picker, Hitlers Tischgespräche im Führerhauptquartier 1941-42. Hg. von Gerhard Ritter. Bonn 1951. Die zweite Ausgabe betreute Percy Ernst Schramm in Zusammenarbeit mit Andreas Hillgruber und Martin Vogt. Sie erschien in Stuttgart 1963, ihr ist 1976 im Seewald-Verlag, Stuttgart, eine dritte, von Picker selbst bearbeitete Neuausgabe gefolgt. Die von Ritter bearbeitete Ausgabe erschien 1952 in Mailand in einer italienischen Übersetzung »Conversazioni di Hitler a tavola 1941-1942«. Andreas Hillgruber betreute die im Deutschen Taschenbuch-Verlag, München, 1968 erschienene Ausgabe, 1979 erschien im Goldmann-Verlag in München eine von Picker besorgte Taschenbuchausgabe.
[8] Adolf Hitler, Libres Propos sur la Guerre et la Paix, recueillis sur l’ordre de Martin Bormann. Paris, 1952 und 1954.
[9] Hitler’s Table Talk 1941-44, his private conversations. London 1953 und 1973.
[10] Hitler’s Secret Conversations 1941-1944. New York 1953 und 1961.
[11] Henry Picker, Hitlers Tischgespräche im Führerhauptquartier 1941-1942. Stuttgart 1976, S. 12.
[12] Picker, Hitlers Tischgespräche, S. 24.
[13] Das Tagebuch der Baronin Spitzemberg. Ausgewählt und herausgegeben von Rudolf Vierhaus. Göttingen 1976, S. 291.
[14] Picker, Hitlers Tischgespräche, S. 33.
[15] Picker, Hitlers Tischgespräche, Dok. 11, 13. 12. 1941, S. 80.
[16] Dokument 65 dieser Ausgabe s. S. 150.
[17] Picker, Hitlers Tischgespräche, Dok. 165, S. 406.
[18] Picker, Hitlers Tischgespräche, Dok. 49, S. 151; Dok. 50, S. 154.
[19] Picker, Hitlers Tischgespräche, Dok. 114, S. 283.
[20] Picker, Hitlers Tischgespräche, Dok. 168, S. 414.
[21] Picker, Hitlers Tischgespräche, Dok. 43 (24. 2. 1942), S. 135, trägt eindeutig das Diktatzeichen Bormanns.
[22] Darauf hat zuerst Alexander Dallin, Deutsche Herrschaft in Rußland 1941-1945, Düsseldorf 1958, S. 15 und 469/70, hingewiesen. Brief Bormanns an Rosenberg vom 23. Juli 1942. ND-NO 1878.
[23] Eingehende Nachweise bei Lothar Gruchmann, Hitler über die Justiz. Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 12, 1964, S. 91.
[24] Jochen von Lang, Der Sekretär. Stuttgart 1977, S. 229.
[25] Werner Johe, Die gleichgeschaltete Justiz. Organisation des Rechtswesens und Politisierung der Rechtsprechung 1933-1945, dargestellt am Beispiel des Oberlandesgerichtsbezirks Hamburg. Frankfurt/Main 1962, S. 176.
[26] Joseph Goebbels, Tagebücher 1945. Die letzten Aufzeichnungen. Hamburg 1977, S. 514. Ähnliche Klagen von anderen Gauleitern liegen auch schon aus früherer Zeit vor.
[27] Heinrich Hoffmann, Hitler, wie ich ihn sah. München-Berlin 1974, S. 160 f.
[28] Erich Raeder, Mein Leben. Bd. 2, Tübingen 1957, S. 110.
[29] Fritz Wiedemann, Der Mann, der Feldherr werden wollte. Velbert und Kettwig 1964, S. 102.
[30] Auszüge aus dieser Rede befinden sich in der Anlage zur Sammlung der Führergespräche Bormanns.
[31] Walter Rohland – Bewegte Zeiten. Erinnerungen eines Eisenhüttenfachmanns. Stuttgart 1978, S. 82 – berichtet über eine Unmutsäußerung Hitlers während einer Besprechung. Danach habe er erklärt: »Hätte ich nur wie Stalin die ganze Intelligenz unseres Volkes vernichtet, dann würde alles einfacher gewesen sein!«
[32] David Irving,. London 1977, S. XV.
[33] Sebastian Haffner, Anmerkungen zu Hitler. München 1978.
[34] Eberhard Jäckel, Hitlers Weltanschauung. Entwurf einer Herrschaft. Tübingen 1969.
[35] David Irving glaubt, Bormann, Himmler, Goebbels und andere hätten das Reich regiert, während Hitler seinen Krieg geführt habe (Hitler’s War, S. 251). Er bleibt dafür aber jeden überzeugenden Nachweis schuldig.
[36] Martin Broszat, Hitler und die Genesis der »Endlösung«. Aus Anlaß der Thesen von David Irving. Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 25, 1977, S. 746 ff.
[37] Sebastian Haffner, Anmerkungen zu Hitler. München 1978, S. 157.
[38] Ich nenne hier nur – stellvertretend für viele andere – das Buch des Architekten Hermann Giesler, Ein anderer Hitler. Erlebnisse – Gespräche – Reflexionen. Leoni am Starnberger See 1978.